“Wir müssen neue Narrative erproben, die den Brüchen, den Katastrophen und Kataklysmen des 20. Jahrhunderts Rechnung tragen.”

Knut Ebeling – Wilde Archäologien, Berlin 2012

Ein Projekt von Mario Asef

Der Pyramidenbau von Raddusch ist ein künstlerisches Projekt im öffentlichen Raum, das sich mit Fragen der Energiegewinnung im industriellen Zeitalter und deren ökologischen Folgen auseinandersetzt. Zentral steht die Überlegung, dass es heute einen Wendepunkt in der Interaktion zwischen Mensch und Natur geben muss, durch den wir die Bedeutung von Landschaften als Informationsträger neudefinieren. Konzeptuell soll sich die Arbeit aus zwei Bestandteilen zusammensetzen (Materialforschung und Pyramidenbau), die jeweils das Wesen unserer visuell geprägten materiellen Kultur aufgreifen und gleichzeitig herausfordern. Am Ende des Projekts steht jedoch eın Film, das über die Entwicklung und das Scheitern des fünfjähriges Projekt erzählt.

Den Ausgangpunkt für die Recherche und Realisierung des Pyramidenbaus von Raddusch stellt das abgeschlossene Projekt Konsum der Landschaft dar, das ich für die Aquamediale 11 (Spreewald) entwickelt habe. Konsum der Landschaft war eine Projektreihe, in der ich mich mit Prozessen der Nutzung und Transformation von Landschaft auseinandergesetzt habe. Im Mittelpunkt der Arbeit stand die Beschäftigung mit der sogenannten „Braunen Spree”: Als Spätfolge des Braunkohletagebaus löst sich Eisenhydroxid aus dem Boden und färbt das Spreewasser in Ockerfarben unterschiedlichster Intensität. Fische, Pflanzen und Kleinstlebewesen sterben ab. Jeden Tag fließen ca. 8,5 Tonnen Eisenoxidschlamm (Ockerschlamm) in die Spree, während noch nicht abzusehen ist, wie groß der Umweltschaden für die Ökotourismusregion sein wird. In einer täglichen Sisyphusarbeit reinigen Bagger die Kanäle, während sich das Material ungenutzt an deren Rändern ansammelt.

Ich forschte über die Möglichkeiten, Ziegelsteine aus Eisenockerschlamm zu produzieren und mischte diesen auf dem Schlossplatz der Stadt Lübben mit Zement an. Die Resultate wiesen die unterschiedlichsten Materialstrukturen auf und wurden vor Ort installativ ausgestellt. Parallel dazu entwickelte ich den sogenannten Geologischen Kuchen, der mit Vanilleteig, Marzipan und Schokolade, die geologische Struktur des Lausitzer Bodens nachbildete. Der Geologische Kuchen, wurde anschließend im Schlossrestaurant gegenüber der Backsteinproduktionsstelle serviert.

Nach Projektende regte der Vorstand des Tourismusvereins Raddusch an, eine weitere Arbeit in der Region zu realisieren. Raddusch ist das Herz der Slawenkultur in Brandenburg und liegt in einer Gegend, die vom Ockerschlamm am stärksten betroffen ist. Damit eignet sich der Ort wie kein anderer, um die bisherige Intervention radikal weiterzudenken und auf eine neue künstlerische Ebene zu heben. Denn im gleichen Maß wie die Menge an Eisenockerschlamm zunimmt, wird auch die Problematik verstärkt von den Menschen wahrgenommen. Inzwischen hat sich eine gewaltige Schlammmasse angesammelt, mit der sich ein Denkmal in der Größe der Cheops-Pyramide realisieren ließe. Aus diesem Vergleich wurde die Projektidee zum Pyramidenbau von Raddusch geboren.

Im Mittelpunkt des Projektes ist die utopische Absicht, vor Ort eine gigantische Pyramide zu errichten. Die 700 Einwohner des Spreewalddorfs Raddusch sind bereits über die Idee in Kenntnis gesetzt worden und haben mit Begeisterung reagiert, denn welche ostdeutsche Provinzstadt kann sich schon mit einem derart monumentalen Symbol schmücken? Dabei soll die Größe des Bauwerks die Fürst-Pückler-Pyramide der benachbarten Stadt Cottbus übertreffen. Das positive Volumen der geplanten Pyramide soll mathematisch dem negativen Volumen der Löcher des Braunkohleabbaus entsprechen. Der geplante Film wird aufzeichnen, wie Ingenieur*innen, Verbandsmitglieder*innen und Ortsbewohner*innen mobilisiert werden, sich über die Bestandteile und die Tragfähigkeit des Bodens zu informieren, das Baumaterial zu erforschen, sowie die Motive und die Gestaltung des Projekts kontrovers zu diskutieren.

In direkter Nachbarschaft zum Radduscher Naturhafen gilt es, einen Ort zu finden, der sich für die Installation einer 225m breiten und 146m hohen  Pyramide eignet: ein negatives Monument, das für die gesamte Menge verbrannter Braunkohle seit Beginn der Tagebaugeschichte steht. Seine Gestalt wird zum Träger von symbolischer wie auch historischer Bedeutung, die jedoch nicht auf den ersten Blick decodiert werden kann. Die Pyramide ist ein Phantom der jüngsten Geschichte, dabei so massiv wie ephemer. Gerade dieser Typus des Geisterdenkmals, der hier geschaffen wird, kann zu einer adäquaten Memorialform im Zeitalter von Energiewende werden.

Die Aneignung von repräsentativen Symbolen fremder Kulturen ist eine anthropologische Konstante; sie begleitet die Geschichte der Menschheit. Besonders sogenannte Weltwunder faszinierten die Menschen seit sie entdeckt wurden. Bauten wie die Pyramiden von Gizeh oder der Tempel der Artemis in Ephesos stehen immer als Sinnbilder für die kulturellen und technologischen Leistungen der jeweiligen Kultur. Die Ockerpyramide ist das Symbol gnadenloser Ausbeutung der Natur im Namen des technologischen Fortschritts. Als massive Landmarke, dıe der schmutzigen Energie gewidmet ist, bildet es ein Mausoleum für das hoffentlich bald endende Zeitalter des Kohleabbaus.

All diese Reflexionen führen zurück zur Geschichte des Tagebaus in der Spreewaldregion. Die verschwundene, weil verbrannte Braunkohle ist ein Beweis dafür, dass „Geschichte und Sichtbarkeit nicht unbedingt eine Allianz bilden müssen.“[1] Im Fortlauf des Projektes hat sich jedoch immer deutlicher abgezeichnet, dass die Realisierung vor gewaltigen Problemen steht und deshalb scheitern muss, denn der instabile Lausitzer Boden ist durchzogen von unterirdischen Flüssen und kann das Gewicht der Pyramide nicht tragen. Außerdem stellte sich heraus, dass die Ockerschlammsteine porös sind. Hier findet ein Wendepunkt im Projekt statt: Die Beteiligten sind gezwungen, auf die veränderte Situation zu reagieren. Das Scheitern lässt uns über Möglichkeiten und Folgen unseres Eingreifens in die Natur reflektieren. Auch meine Rolle als Künstler wird zur Diskussion gestellt: Was erwartet die Gesellschaft von der Kunst? Wie verändert sich die Erwartungshaltung bei Nichtgelingen eines solchen Prestigeprojekts? Und inwiefern darf Kunst sich in industriell-ökonomische Prozesse einmischen?

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[1] Wilde Archäologien, Knut Ebeling, Seite 9, Kulturverlag Kadmos Berlin, Berlin 2012

In Kooperation mit:

Kunstdorf Raddusch e.V. / BTU Cottbus

Mit freundlicher Unterstützung von:

Wasser- und Bodenverband Oberland Calau (Herr Schloddarick) / Stadt Vetschau / Ortsbeirat Raddusch (Herr Lagemann) / Aktionsbündnis Klare Spree e.V. / Familie Petra und Wolfgang Beesk / Spreewaldverein / Tourismusverein Raddusch und Umgebung e. V.